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Arbeitszeiterfassung – Die neue BAG-Rechtsprechung

Manche Medien sprechen von einem "Paukenschlag": Das Bundesarbeitsgericht (BAG) schreibt die Zeiterfassung für jeden Betrieb vor (BAG vom 13.09.2022, Az: 1 ABR 22/21).

Danach ist der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der elektronischen Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht per Einigungsstelle erzwingen. Diese BAG-Entscheidung darf nicht zur Vorstellung führen, der Betriebsrat ist beim Zeiterfassungsthema außen vor. Denn der Überwachungsauftrag nach § 80 Abs. 1 BetrVG ermöglicht dem Betriebsrat, Listen über Beginn und Ende der Arbeitszeit aller Arbeitnehmer beim Arbeitgeber einzufordern. Für Betriebe hat dies Konsequenzen: Nicht nur für die Arbeitszeiterfassung selbst, sondern auch für (bestehende) Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeitkonten, Vertrauensarbeitszeit und mobiler Arbeit.

Leistungsbemessung und Leistungsdruck

Heutige Unternehmensstrategien machen die Zeiterfassung zu einem umkämpften Thema. In vielen Betrieben erfolgt die Verteilung der Arbeit über indirekte Steuerung. Entscheidend ist dabei das Ergebnis - es werden nicht mehr einzelne Arbeitsschritte durch die Vorgesetzten kontrolliert, wie es die Fließbandarbeit nach Henry Ford vorschrieb. Vielmehr wird die Leistung über Zielvereinbarungen gemessen. Dies ermöglicht den Beschäftigten eigenverantwortlicheres Arbeiten, erhöht aber den Stress, wenn die Ziele zu hoch angesetzt werden oder zu wenig Personal für die Arbeitsaufgaben zur Verfügung steht.

 

Durch die Digitalisierung ist ein Arbeiten immer und überall möglich, ständige Erreichbarkeit droht den Arbeitenden. Die Zunahme dieses mobilen Arbeitens während der Corona-Pandemie hat bestehende Trends nur verschärft. Eine aktuelle Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit verdeutlicht: die Folge ist eine stärkere Entgrenzung der Arbeitszeit, mit erhöhtem Leistungsdruck und Stress am Arbeitsplatz.

Vertrauensarbeitszeit

Die Arbeitszeit bleibt gerade in Zeiten der Digitalisierung umkämpft, wie verschiedene Beispiele zeigen: Das kann die arbeitsvertragliche Regelung sein, Überstundenbezahlung ist mit dem Gehalt abgegolten. Arbeitsrechtlich ist dies so pauschal nicht zulässig, oft stellt es einen Verstoß gegen den Tarifvertrag dar – aber trotzdem in vielen Betrieben Praxis.

Die modernste Variante ist „Vertrauensarbeitszeit“. Dabei wird auf die Erfassung von Arbeitszeit verzichtet. „Der Spruch, dass Kontrolle durch Vertrauen ersetzt werden soll, verdeckt jedoch, worum es geht: Die Arbeitgeber schaffen die Zeiterfassung erst dann ab, wenn sie vorher Bedingungen geschaffen haben, unter denen es sich für sie rechnet“, analysiert der Philosoph Klaus Peters die Konsequenzen. In der Praxis erleben Beschäftigte, dass die Einführung der „Vertrauensarbeitszeit“ weitgehende negative Folgen hat.

Denn die Zeiterfassung stellt eigentlich eine Absicherung des Arbeitnehmers dem Unternehmen gegenüber dar. Gerade mobile Arbeit oder erweiterter Technikeinsatz infolge der Digitalisierung wird von Unternehmen gerne als Vorwand für die Abschaffung der Zeiterfassung genutzt.

Überwachungsauftrag wahrnehmen

Bezüglich der Pflicht des Unternehmens, nach § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz die über die werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen, hat das BAG den Informationsanspruch des Betriebsrates bereits konkretisiert (BAG vom 06.05.2003, AZ: 1 ABR 13/02): Zur Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe benötigt der Betriebsrat Kenntnis von Beginn und Ende der täglichen und vom Umfang der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat seinen Betrieb so zu organisieren, dass er die Durchführung der geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen selbst gewährleisten kann. Er muss sich deshalb über die genannten Daten in Kenntnis setzen und kann dem Betriebsrat die Auskunft hierüber nicht mit der Begründung verweigern, er wolle die tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer wegen einer im Betrieb eingeführten „Vertrauensarbeitszeit“ bewusst nicht erfassen.

 

Das Bundesarbeitsgericht macht mit seiner Entscheidung deutlich: Eine klare Regelung zur Zeiterfassung ist das Gebot der Stunde. Betriebsräte sollten über Betriebsvereinbarung Regelungen zu Arbeitszeitkonten umsetzen.

 

 

Verfasser dieses Artikels ist Marcus Schwarzbach, Fachbuchautor

Autor von „Digitale Arbeit, E-Government, Arbeit 4.0“, Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten, Walhalla-Verlag

 

Marcus Schwarzbach ist Referent des Betriebsrat-Seminars

ARBEITSZEITERFASSUNG – DIE NEUE BAG-​RECHTSPRECHUNG

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